geschrieben von Judith.
Es war ziemlich genau acht Jahre her, seit ich das letzte Mal in Bolivien war und gemeinsam mit Hanna meinen einjährigen Freiwilligendienst mit einer letzten Reise abschloss. Diesmal kam ich mit unserem Mitglied Bogdan wieder.
Neben dem touristischen Programm der Salzfläche in Uyuni, der Isla des Sol auf dem Titicaca See und Gondelfahrten in La Paz hatten wir auch die Möglichkeit, viel Zeit mit den Jugendlichen, Kindern und Mitarbeiter:innen unserer Partnerorganisation Renovación zu verbringen – angefangen mit einer 5-tägigen Wanderung gemeinsam mit Osmar und 21 Jugendlichen.
Bevor ich hiervon erzähle, möchte ich mich noch einmal ganz herzlich bei allen Menschen bedanken, die für die Wanderung gespendet haben! Es war für uns, aber besonders für die Jugendlichen, die sonst wenig Chancen auf eine Auszeit von Arbeits- und Studiumsalltag haben, eine sehr bedeutsame und eindrückliche Erfahrung. Für einen detaillierteren Bericht der Wanderung und der Perspektive von Britta, die dieses Jahr zum ersten Mal teilgenommen hat, empfehle ich ihren Erfahrungsbericht zu lesen.
Für mich war die Wanderung eine körperlich und psychisch sehr herausfordernde Erfahrung – ich bin davor meistens nur auf Tageswanderungen unterwegs gewesen und habe das Gewicht unserer Rucksäcke sehr unterschätzt. Diesen Schwierigkeiten gegenüber stand jedoch eine unglaublich schöne und unterstützende Gruppendynamik. Die Truppe von insgesamt 24 Leuten war in drei Gruppen geteilt, so konnte man immer gut den Überblick behalten und sicherstellen, dass alle mitkamen. Wir machten Pausen, wenn eine oder mehrere Personen es brauchten, lenkten uns von den letzten mühseligen Stunden mit Gesprächen und gegenseitigen Ermunterungen ab und genossen zwischendurch natürlich auch die schöne Aussicht und die frische Luft.
Fast jeden Abend kamen einige der Jungs aus der ersten Gruppe, die unser Ziel schon erreicht hatten, ohne ihre Rucksäcke zurück, um die Rucksäcke denjenigen, die mit ihren Kräften an ihren Grenzen waren, das letzte Stück für sie zu tragen. Unter den letzteren war ich fast jeden Tag – dies kratze zwar etwas an meinem Stolz, aber vor allem war ich sehr dankbar für die letzten unbeschwerten 20 Minuten des Wandertages. Die Hilfe anzunehmen und sich auf andere zu verlassen, war – denke ich – auch eine sehr gesunde und gute Erfahrung, die man immer mal wieder im Leben machen sollte.
Ich muss zugeben, dass ich vor der Wanderung auch etwas skeptisch der Idee gegenüberstand, fünf Tage mit einer Gruppe Jugendlichen zu verbringen, da ich die Teenagejahre eher mit Cliquenverhalten, viel gegenseitigem Bewerten und eigenen Unsicherheiten verbinde. Diese Sorgen waren jedoch unbegründet – wir lachten miteinander (und ab und zu freundschaftlich übereinander) und ich genoss es sehr, die Jugendlichen und ihre Lebenswelten kennenzulernen, ob im Zwiegespräch oder im Blackjack mit Snacks und Süßigkeiten als Einsatz. Als Sozialwissenschaftlerin brachten mir diese Dynamiken des Teilens, aufeinander Achtgebens und Unterstützens auch viel Hoffnung dafür, wie Gesellschaft in ihrer kleinsten Form idealerweise aussehen kann.
Nachdem wir uns ein wenig von der Wanderung mit einer kleinen Pause am Titicacasee erholt hatten, verbrachten wir noch einmal gut zehn Tage in Oruro, in denen ich fast täglich Renovación besuchte. Während meines Freiwilligendienstes 2015/16 habe ich in einem Partnerprojekt gearbeitet und war deswegen nur ab und zu im Gebäude von Renovación. Deswegen war es für mich besonders schön, die mir über die letzten Jahre über Zoom vertraut gewordenen Mitarbeiter:innen und Komiteemitglieder endlich in Person kennenzulernen.
Wir saßen gemeinsam bei Salteñas (Teigtaschen, die mit einer Art dickflüssigen Suppe gefüllt sind) und Charquekan (getrocknetem Lamafleisch mit weißem Mais und Ei) im Büro von Doña Eva, der Vorsitzenden des Komitees und schnackten über die Wanderung, unsere Reise, die politische Situation in Bolivien und verschiedene Sachen, die im Projekt angegangen werden sollten. Ich hatte auch die Möglichkeit, die verschiedenen Kurse zu besuchen. Diese spannten sich von Nachhilfeunterricht in verschiedenen Fächern, über Einführungen in die frühkindliche Entwicklung und Singen im Chor bis zu einem Schachkurs. Die Lehrkräfte dieser Kurse haben das Komitee und die Mitarbeiter:innen von Renovación organisiert, teilweise sind es ausgebildete Lehrerinnen, die freiberuflich im Projekt arbeiten, oder auch Jugendliche, die einfach ihre Kenntnisse mit interessierten Kindern teilen wollen. So ist bspw. der Schachkurs von Isaac zustande gekommen, den ich auch auf der Wanderung kennenlernen durfte. Auch Maria René und Don Franco habe ich in der Kindertagestätte und den Malkursen besucht und sehr viel aus unseren Gesprächen über spielerisches Lernen, den Umgang mit Kindern mit unterschiedlichen Bedürfnissen und die Rolle von Kreativität und Kunst mitgenommen.
Außerdem konnte ich an einer Abschlusszeremonie für einige der Kurzausbildungen teilnehmen, in der ich gemeinsam mit Don Franco, dem Komitee und der Gleichstellungsbehörde der Stadt den Teilnehmenden ihre Zertifikate überreichen konnte.
Die gemeinsame Zeit mit unseren Kolleg:innen in Oruro, den Jugendlichen und den Kindern bei Renovación haben mich unglaublich inspiriert – es war so schön zu sehen und zu spüren, mit wie viel Herz alle an der Organisation mitarbeiten und Renovación zu dem Begegnungsort und der Bildungsstätte machen, die es ist.