Der Karneval von Oruro – der beste der Welt

geschrieben von Johannes Helsper
Seit ich in Deutschland lebe, habe ich vom Karneval in Oruro viele Geschichten gehört. Er soll einer der größten, spektakulärsten und prachtvollsten Karnevalsereignisse der Welt sein. Viel wusste ich am Anfang nicht darüber, nur, dass er von der UNESCO im Jahre 2001 als „immaterielles Kulturerbe der Menschheit“ eingestuft wurde. Aber schon in jungen Jahren war es mein Traum, diesen Karneval mit eigenen Augen zu sehen und eventuell einmal dort mit zu spielen, oder zu tanzen. Nach meinem ersten Besuch in Bolivien, im Jahre 2023, wurde der Wunsch, den Karneval von Oruro zu sehen und zu erleben größer und wie es der Zufall so wollte, ging dieser Wunsch schneller in Erfüllung als gedacht.
Wir kamen einige Tage vor den großen Umzügen in Oruro an und waren überrascht, wie viele Menschen zu der Zeit schon in der Stadt waren. Wir hatten Oruro von unserem letzten Besuch doch etwas ruhiger in Erinnerung. Sra Cazorla hatte uns ein Hotel organisiert. Da in der Zeit des Karnevals alle Hotels bereits ausgebucht waren, war es ein Glück, dass sie Kontakte zu einigen Hoteliers hatte und für uns ein Zimmer buchen konnte. Die Vorbereitungen für den Karnevalumzug waren bereits im vollen Gange und wenn man sah, wie viele Tribünen aufgebaut wurden, konnte man bereits erahnen, wie viele Menschen in den nächsten Tagen hier Platz finden würden, um den Umzügen zuzusehen.
Der Samstag, der erste von drei Karnevalstagen, begann für uns bereits sehr früh. Wir waren um halb neun mit Sra Cazorla verabredet, um unsere Armbänder zu holen und auf den Rängen Platz zu nehmen. Nach einem schnellen Frühstück gingen wir zu ihrem Haus und nahmen unsere Armbänder durch ihren Sohn entgegen. Dann gingen wir mit Sra Cazorla zu dem Platz, wo die Presse ihre Ränge hatte. Dort hat die Familie Cazorla seit Jahren schon Ihre festen Plätze. Wir waren sehr verwundert, dass wir uns so früh treffen sollten, aber es machte durchaus Sinn, wie wir später feststellen sollten.
So saßen wir schon gegen 09:00 Uhr morgens auf den Plätzen, gegenüber der teleférico „Virgen del Socavon“. Zunächst begann der Umzug mit einer kirchlichen Prozession und den Vorständen der verschiedenen conjuntos. Anschließend kamen die ersten Tanzgruppen an unseren Plätzen vorbei. Obwohl wir in Deutschland schon viele bolivianische Tänze kennen gelernt hatten, waren wir überrascht, wie viele Tänze es gibt, die wir noch nicht kannten. Sra Cazorla gab uns zu den verschiedenen Tänzen viele Informationen z.B. woher diese kommen und was die Masken bedeuten. Am beeindrucktesten war für mich der Waka Waka, welcher aus La Paz kommt und viele spanische Einflüsse erkennen lässt, wie beispielsweise den Stierkämpfer und den Stier. Die Kostüme der Stiere sahen sehr schwer aus, was die Schultergurte bei den Männern verrieten und umso erstaunlicher war es, dass sie die Stiere anscheinend so leicht zum Takt der der Musik herumwirbeln konnten, was mich sehr beeindruckt hat. Unterdessen füllten sich die Ränge und immer mehr Menschen schauten den Umzügen zu. Bis zur Mittagszeit waren alle Plätze belegt. Nach verschiedenen Tänzen, wie der Morenada, Suri Sicuri und natürlich der Diablada waren bereits mehrere Stunden vergangen, aber es war kein Ende in Sicht.



Im Programmheft waren 6 Gruppen aufgelistet, in denen jeweils mehrere verschiedene Tanzgruppen eingereiht waren. Allerdings war es nicht abzusehen, wann die letzte Gruppe vorbei tanzen würde. Als das Ende der Gruppe 3 vorbei gekommen war, gegen 23:30 Uhr, verließen wir für diesen Tag unseren Sitzplatz. Trotz mehr als zwölf Stunden sitzen und zuschauen, hatten wir nur die Hälfte der Gruppen geschafft, aber wir waren fix und fertig von den vielen Eindrücken. Außerdem waren wir müde und hungrig, da wir unsere Plätze nicht verlassen und die ganze Zeit sitzend verbracht hatten.
Am nächsten Tag schliefen wir lange, wurden aber immer wieder von dem Getöse der Musikkapellen geweckt. Durch unsere Armbänder kamen wir problemlos wieder auf unsere Plätze und verfolgten am Abend dann die weiteren Gruppen, die wir am Vortag nicht mehr geschafft hatten. Aber auch heute gab es sehr viele Verzögerungen, dass wir sehr lange zuschauen mussten. Insgesamt ging der Umzug nicht so schnell voran wie am Vortag.
Am Montag, dem letzten Tag des Karnevals, der den Tänzen Morenada und Diablada gewidmet ist, wurde in der gesamten Stadt gefeiert. Überall konnte man den Tanzgruppen beim Tanzen zuschauen, mitmachen oder bei der Teleférico über den Markt schlendern. Wir nutzten die Zeit und reisten mit der Teleférico zur Virgen del Socavon, dem Wahrzeichen von Oruro, hoch über der Stadt. Die Aussicht von der Virgen del Socavon über die Stadt Oruro ist echt überwältigend. Leider war es an dem Tag sehr regnerisch, so dass wir nicht sehr weit schauen konnten. Daher besuchten wir das Museum, das sich innerhalb des Monuments befindet und eine Ausstellung mit Informationen über den Karneval von Oruro enthält. Während wir wieder zurück in die Stadt fuhren, bemerkten wir, dass überall die Ränge bereits wieder abgebaut wurden. Bald wird die Stadt wieder ruhig sein und die Vorbereitungen für den nächsten Karneval werden beginnen.
Nach den sehr langen Tagen des Karnevals waren wir doch froh, in den nächsten Tagen wieder etwas mehr Schlaf zu bekommen. Der Schlafmangel während der Karnevalstage hat uns zwar ziemlich geschlaucht, aber wir wurden mit tollen Sinneseindrücken und vielfältigen Erlebnissen entschädigt; für uns waren es sehr aufregende Tage. Wir haben viel gesehen und konnten viele tolle Erinnerungen mit nach Hause nehmen. Für mich war es die Erfüllung eines lang gehegten Traumes und ich würde jederzeit noch mal über die Karnevalszeit nach Oruro fliegen. Vielleicht ergibt sich ja die Möglichkeit, einmal dort mitzutanzen – ein Traum. Aber Träume können wahr werden!